Seit ich offiziell in Rente bin, geht es mir besser. Nicht körperlich, aber emotional. Ich muss mir keine Angst mehr um meine finanzielle Situation machen und habe nicht mehr diesen innerlichen Druck. Zwar ist der „Kampf“ noch nicht komplett gewonnen (schließlich ist die Rente nur befristet und die Berufsunfähigkeit auch noch nicht anerkannt), aber ich kann zumindest mal ein Jahr durchatmen, bevor das Theater von vorne beginnt und ich den Antrag auf Weiterbewilligung stellen muss. Dann geht der emotionale Stress wieder los, da ich nicht weiß, ob das auch wirklich weiter bewilligt wird. Doch bis dahin versuche ich es einfach mal mit Leben. Das hat jedoch weiterhin so seine Tücken.
Langeweile und Überforderung
Der Grat zwischen Langeweile und Überforderung ist sehr schmal. Ich habe täglich meine Therapien (Ergo, Physio und Wilma), wodurch ich einen geregelten Tagesrhythmus habe. Oft war es das dann aber auch schon und ich langweile mich die meiste Zeit über. Fernsehen nervt irgendwann, am PC oder Handy sitzen genauso. Lesen geht nur phasenweise und tagsüber gibt es eigentlich auch keinen Besuch, außer man möchte den Postboten als solchen zählen. Trotzdem braucht mein Körper Erholung, wodurch ich in der Mittagszeit oft einfach einschlafe. Es gibt aber auch Tage, an denen ich Termine mit anderen habe (Ärzte, Sanitätshaus, Familie, Freunde oder zum Projekt „Hausbau“). Das sind dann die Tage, an denen ich auch mal 3 Stunden unterwegs bin und wo die Überforderung schneller kommt, als mir lieb ist. Ich merke, dass ich nicht belastbar bin. Ich kann mich zwar auch 3 Stunden unterhalten und mich kognitiv fordern (wenn ich z.b. über Themen aus meiner alten Berufswelt spreche), aber ich bin dann auch wieder mindestens einen Tag außer Gefecht. Ich merke, dass mein Körper diese Belastung nicht verkraftet und ich das alles viel mehr steuern muss, als es ein gesunder Mensch tun müsste.
Urlaub
Theresa und ich haben nach den Jahren des emotionalen Stresses viel Urlaub gemacht. Berlin, Sehestedt, Olpenitz. Jeder Ort fordert meinen Körper auf unterschiedliche Weise. Wo es in Berlin überwiegend die Eindrücke und Menschenmassen waren, welche mein Kopf nicht mehr so verarbeiten kann wie früher, war es bei den anderen Orten eher die Körperliche Belastung durch weite Strecken mit dem Rollstuhl (und Hund). Ich versuche in diesen Urlauben stets über meine Grenzen hinaus zu gehen und den Punkt, an dem nichts mehr geht, auf den Abreisetag zu schieben. Und nach jedem Urlaub brauchte ich einige Tage, teilweise eine ganze Woche, bis ich wieder halbwegs „fit“ war. Ich habe teils 14 Stunden am Tag geschlafen.
Schamgefühl, weil ich Rentner bin
Von außen betrachtet ist es sicherlich schwer zu verstehen, warum ich Rentner bin. Niemand sieht meinen Schmerz. Klar, man sieht mich humpeln und „unrund“ gehen, man sieht vielleicht auch meine schlechte Körperhaltung. Aber spätestens wenn man mich an einem Tag mit dem Hund gehen sieht und ich zur nächsten Geburtstagsfeier im Rollstuhl erscheine, hört das Verständnis bei vielen auf. Leider schäme ich mich auch ein Stück weit dafür, wenn ich an einem Tag „arbeiten“ kann und am nächsten nicht. Ich denke immer, dass es ja vielleicht doch wieder geht. Bis mich dann eine schlechte Woche wieder in die Realität zurückholt und mich ans Bett oder Sofa fesselt. Hinzu kommt, dass ich immer noch enttäuscht von mir selbst bin, dass ich nun keine „Karriere“ mache, dass mein Studium eigentlich für die Katz war und vor allem, dass alle meine Freunde um mich herum den nächsten Schritt gehen. Für mich ist das alles vorbei. Mir fällt es deshalb oft schwer Menschen zu treffen, die ich schon länger nicht mehr gesehen habe.
Neue Ziele finden
Es gibt Tage, an denen ich deprimiert bin, weil ich keine großen Ziele im Leben mehr habe. Meine Hobbys und mein Beruf wurden mir größtenteils genommen. Einen Ersatz hierfür habe ich bisher noch nicht so richtig finden können. Zwar haben Theresa und ich jetzt das Projekt „Hausbau“ gestartet, auf das ich mich wirklich sehr freue. Aber ich muss auch so realistisch sein, dass ich bei vielen Dingen eben nur der Zuschauer bin und nicht viel selber machen kann. Eigenleistung beim Hausbau? Eher weniger. Theresa ist keine Handwerkerin und kann alleine schon gar nicht ein ganzes Haus bauen. Ich hoffe zwar, dass ich vielleicht ab und zu ein Stündchen etwas machen kann, aber der Realist in mir sagt schon jetzt, dass jede Stunde mehrere Tage auf dem Sofa oder im Bett bedeuten. Trotzdem ist der Hausbau für mich ein Ziel für die nächsten Jahre. Ich kann endlich etwas tun, was für mich und für die Zukunft ist. Das ist in einer Mietwohnung nur bedingt möglich.
Und die Krankheit?
In meinem vorherigen Beitrag erzählte ich bereits, dass auch meine Erkrankung weiter beobachtet werden muss. Die Krankheit bleibt natürlich auch immer ein Thema, wird immer einen großen Teil meines Rentner-Alltags sein. Ich muss weiter zu Kontroll-Untersuchungen und stets mit der Angst leben, dass sich neue Symptome bilden. Ich höre ständig auf meinen Körper und analysiere jeden Schmerz, ob er neu ist oder schonmal da war, ob die Stelle neu ist, ob sich irgendetwas verändert hat. Ich werde immer gegen Depressionen wegen meiner Erkrankung und dem, was ich verloren habe, kämpfen. Und unterm Strich hoffe ich, dass ich irgendwann akzeptieren kann, dass ich Rentner bin, dass ich mich nicht mehr dafür schäme und ich endlich nur noch nach Vorne blicken kann.