Leben lernen mit chronischen Schmerzen

Wenn man irgendwann akzeptiert hat, dass man nicht mehr „gesund“ ist und dass die Schmerzen nie wieder ganz verschwinden werden, muss man sich unweigerlich mit seiner Zukunft beschäftigen. Ich habe mich vorwiegend mit folgenden Punkten auseinandergesetzt:

1. Ziele im Leben neu definieren

Es ist unglaublich wichtig für sein Lebensgefühl und seine Psyche, Ziele im Leben zu haben. Für mich waren bisher immer Erfolg im Job, eine Familie gründen und ein wunderschönes Zuhause haben die größten und wichtigsten Ziele im Leben. Insbesondere letzteres hat viel mit der körperlichen Verfassung zu tun, wenn man als Handwerker viel Spaß an seiner Arbeit hat. Nachdem ich meine Krankheit akzeptiert habe, war mir auch bewusst, dass ich dieses Ziel nicht mehr so verfolgen kann, wie ich es gerne würde. Ich war traurig, dass ich mein Zuhause nicht mehr mit eigenen Händen bauen konnte, weil das natürlich aufgrund der starken Schmerzen unter Belastung gar nicht möglich ist. Sonst könnte ich wohl auch 8 Stunden im Büro sitzen. Allerdings kam bei mir irgendwann die Erkenntnis, dass mein Zustand nicht grundsätzlich ausschließt, dass ich GAR NICHTS mehr machen kann. Ich werde immer in der Lage sein, kleine Dinge selber zu erledigen. Mal ein paar Stunden am Tag völlig verausgaben und die nächsten 3 Tage in den Seilen hängen ist zwar für viele völlig idiotisch, aber mir selbst gibt es innere Ruhe und Zufriedenheit. Ich werde vielleicht kein ganzes Haus mehr selber bauen können, aber mit Sicherheit kann ich die ein oder andere Sache selber reparieren.

Der Punkt mit der Arbeit ist natürlich einer der schwersten Punkte, über die ich nachdenken musste. Mein Job als Ingenieur erfordert es, dass ich viele Stunden in Besprechungen oder am PC verbringen muss. Es ist oft gar nicht möglich, dass ich meine Arbeit im Liegen machen könnte. Wäre auch ziemlich komisch, wenn man mit den hohen Tieren in einer Besprechung ist und sich auf einmal auf den Boden legt. Kein Arbeitgeber der Welt würde das ohne mit der Wimper zu zucken tolerieren. Ich habe also versucht, meinen Frieden mit der Arbeit zu finden. Ja, ich habe viel Schweiß in mein Studium gesteckt und sehr viel Freizeit geopfert, damit ich nebenbei auch noch einen Vollzeitjob erledigen konnte. Niemand wird mir diese Zeit zurückgeben können. Das heißt aber nicht, dass alles für die Katz‘ war. Die Art und Weise, wie ich in meinem Leben studiert, gearbeitet, verzichtet und organisiert habe, macht einen Teil von mir und meinen Fähigkeiten aus. Diese Fähigkeiten kann ich auch weiterhin nutzen, wenn ich mir einen Mini-Job suche, bei dem meine körperlichen Gebrechen voll berücksichtigt werden können. Es wird vielleicht eine Zeit dauern, aber ich bin davon überzeugt, dass ich eine Möglichkeit finden werde.

Die Auswirkungen meiner Krankheit auf das Ziel einer Familiengründung sind auf den ersten Blick natürlich gering. Allerdings darf man nicht vergessen, dass irgendwann der Zeitpunkt kommt, wenn Kinder mit ihrem Papa toben und spielen wollen. Einem Kind dann beibringen zu müssen, dass das eben nicht immer geht, wird sehr schwer werden. Ich habe die Erfahrung bereits mit Kindern in meinem Umfeld gemacht und es hat mir jedes Mal das Herz gebrochen, wenn ich sagen musste, dass ich leider liegen muss um den Schmerz zu lindern. Insbesondere kleine Kinder verstehen Krankheiten oft nicht. Es ist sicher kein Weltuntergang, dass Spielen und Toben nicht mehr in vollem Umfang geht. Aber dieser Punkt zu akzeptieren, fällt mir besonders schwer und ich habe auch noch keine Möglichkeit gefunden, genau das positiv zu sehen.

2. Neue Hobbys

Das bisherige Leben wird durch eine chronische Erkrankung vollkommen auf den Kopf gestellt. Die Hobbies, die man bisher hatte, fallen oftmals einfach weg weil sie schlichtweg zu belastend für den Körper sind. In meinem Fall hatte das früher viel mit Bewegung und Sport zu tun. Jahrelang bin ich wie ein bekloppter durch die Welt gerannt, das Joggen war für mich ein idealer Ausgleich zum Stress und Ärger im Leben. Nicht nur die Syrinx und die Chiari machen mir dabei einen Strich durch die Rechnung, sondern auch mein mehrfach operiertes Knie. Mittlerweile steigert Sport – auch wenn es auch nur leichte Gymnastik ist – meine Schmerzen. Dennoch ist es sehr wichtig, dass ich in Bewegung bleibe, da nur so die wenige Muskulatur, die mir verblieben ist, erhalten werden kann. Wenn man Schmerzen hat, ist es sehr schwer sich zu motivieren, das Haus zu verlassen und dabei die Schmerzen zu steigern. Ich habe lange überlegt, wie ich das Problem lösen kann. Mit meiner fantastischen Freundin zusammen haben wir uns dann dazu entschlossen, einen kleinen Welpen bei uns aufzunehmen. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die körperlich anstrengenden Phasen in einem Hundeleben ihr Part sind und ich mich um die geistige Auslastung kümmere. Das bedeutet natürlich nicht, dass ich nicht mit unserer Hundedame Gassi gehen muss, denn genau diese „kleinen“ Bewegungsrunden sind das entscheidende für den Erhalt einer gewissen körperlichen Verfassung. Ich gehe dabei fast immer an meine körperliche Grenze, damit ich wenigstens aufgrund meiner Fitness nicht zusätzlich leiden muss. Das ist oft ein schwerer und schmerzhafter Weg, bei dem auch meine Freundin oft an ihre Leidensgrenze kommt. Schließlich ist es sehr schwer, eine geliebte Person leiden zu sehen. Allerdings muss sie da einfach durch, da ich keine andere Möglichkeit sehe, wie ich halbwegs fit bleiben kann. Und durch unsere kleine Wilma werden wir nach jedem Spaziergang belohnt, wenn die kleine sich mit Lecken bei uns einschleimt und wir mit ihr kuscheln dürfen.

Es gibt natürlich noch eine Vielzahl von anderen Möglichkeiten, wie ihr eure Freizeit gestalten könnt. Die Haltung und Erziehung eines Hundes ist für mich so umfassend, dass ich aus schmerztechnischer Sicht keine weitere bewegungsfördernden Hobbys mehr brauche. Zusätzlich beschäftige ich mich aber auch mit der Finanzwelt und dem Börsenhandel, da ich das schon immer spannend fand und jetzt die Möglichkeit habe, mich in dieses Thema einzuarbeiten. Es gibt auch noch eine Vielzahl anderer Möglichkeiten sich zu beschäfigten, auch wenn man chronisch Krank ist. Hier eine kurze Liste, die gerne in den Kommentaren ergänzt werden darf:

  • Fotografie – Hier kann man sich angepasst an seinen täglichen Zustand unterschiedliche Motive suchen. Man bekommt einen Anreiz, das Haus zu verlassen und sich mit dem Thema vollständig auseinander zu setzen.
  • Lesen – Das geht nun wirklich immer. Nehmt nicht immer nur Romane, sondern auch mal Sachbücher! Das fördert die geistige Fitness und ihr könnt eure Allgemeinbildung stetig ausbauen.
  • Fernstudium – Für die ganz harten unter euch. Ich hab’s 5 Jahre lang gemacht und kann da aus Erfahrung sagen, dass man lediglich für die Klausuren vor Ort sein muss. Oft lassen sich hier auch Regelungen finden, die einen dabei helfen, zumal ihr eure Erkrankung nachweisen könnt.
  • Politik – Engagiert euch für euern Wohnort! Gerade die Politik achtet immer auf Gleichbehandlung, weshalb hier sicher Möglichkeiten gefunden werden, wie ihr euch hier auch in kurzen Zeitabständen einbringen könnt. Diskutiert in Foren oder auf Veranstaltungen im Rathaus, in öffentlichen Sitzungen und kommt so anderen Menschen näher.
  • Computer-Spiele: Geht natürlich auch im Liegen, sitzen, stehen oder was auch immer bei euch am Besten ist. Lenkt ziemlich gut ab, wobei ihr da Grenzen und Zeitlimits setzen müsst. Beschäftigt euch vorher genau mit dem Zeitumfang. Nicht jedes Spiel ist geeignet. Achtet zum Beispiel auf einen Solo-Modus und die Möglichkeit, jederzeit (oder in kurzen Abständen) den Spielstand speichern zu können.
Im Internet findet ihr noch genug andere Seiten, die euch Hobbies nahe bringen wollen. Diskutiert das einfach mit euren Liebsten, denn auch hier braucht ihr vielleicht die ein oder andere Unterstützung. Vielleicht können auch Gleichgesinnte helfen, die noch andere Erfahrungen gemacht haben. Geht auf diese Menschen zu! Für fast jede Krankheit gibt es Diskussionsforen oder Treffpunkte.

3. An die schönen Dinge im Leben denken

Beschäftigt euch mit den wesentlichen Dingen im Leben. Ignoriert nicht eure Freunde und Verwandte, die euch unterstützen. Auch wenn ihr kein Mitleid haben wollt, stoßt diesen Menschen nicht direkt vor den Kopf. Ich hatte selbst eine Phase, wo ich keine Lust mehr hatte über mich und meine Krankheit reden zu wollen. Ich will das auch jetzt oft nicht. Aber euer Umfeld weiß oft nicht, wie es reagieren soll. Wie geht man mit jemandem um, der immer Schmerzen hat und der in seinem Leben so viel aufgeben musste? Wenn ihr ehrlich seid, wisst ihr das doch selber nicht. Hört auf, andere anzumaulen, wenn es euch schlecht geht. Die Personen können da nichts für, genauso wenig wie ihr. Seid stattdessen einfach froh, dass ihr Menschen in eurem Leben habt, denen ihr wichtig seid. Freut euch darüber, denn das ist nicht immer so. Vergesst nicht, dass Freunde und Verwandtschaft im Leben oft die wichtigsten Dinge sein können. Denn ohne solche sozialen Verbindungen wäre das Leben trist und öde. Denkt an die Liebe. Wenn ihr keinen Partner oder Partnerin habt, verliebt euch. Im Internet gibt es so viele Möglichkeiten, jemanden kennen zu lernen. Wenn ihr nicht lange in irgendwelchen Lokalen sitzen könnt, sprecht das direkt an. Die wahre Liebe würde sich von einer Krankheit nicht abbringen lassen. ich weiß, dass das einfacher klingt als es ist, aber für jeden Topf gibt es einen Deckel.

4. Freizeitgestaltung und Freunde

Ihr werdet irgendwann erleben, wie Freunde um euch herum Aktivitäten planen, an denen ihr nicht teilnehmen könnt. Mir geht es immer dann so, wenn ich keine Möglichkeit habe, dabei zu liegen. Ich bin natürlich sehr oft gefrustet und enttäuscht, wenn ich nicht mit auf eine Bootsfahrt kann, keine Fahrradtour durch Wald und Wiesen unternehmen kann oder wenn ich nicht mehr auf größere Partys gehen kann, wo die Leute stehen. Ich erwarte aber auch nicht, dass meine Freunde solche Sachen deswegen nicht mehr machen sollen. Warum soll meine Krankheit denen auch noch die Laune vermiesen? Ich habe von Anfang an verstanden, dass man das akzeptieren muss. Aber mir fällt es definitiv sehr schwer und ich gehe davon aus, dass es mir immer schwer fallen wird. Es gibt eben Dinge, die man nicht so ohne Weiteres akzeptieren oder ändern kann. Aber in meiner Situation kommen trotzdem ein paar Sachen in Frage, die ich mit meinen Freunden unternehmen kann:
  • Kurzurlaube: Natürlich kann ich kein dickes Sightseeing in Hamburg machen, aber ich kann mir ein zentrales Hotel suchen und alles, was in der Umgebung stattfinden kann, mitmachen. So habe ich immer die Möglichkeit, mich zwischendurch auszuruhen. Wenn man ganz verrückt ist, können die Freunde dann für einen die Umgebung erkunden und man ist über Facetime (oder einfach nem Videoanruf…) dabei.
  • Essen gehen oder gemütlich bei jemandem Zuhause sein: Das geht ja nun wirklich immer. Vielleicht kann man da nicht stundenlang bei hocken, aber wenigstens kann man in geselliger Runde nen Happen zu sich nehmen und drölf Bier trinken.
  • Ausflüge: Es gibt ganz sicher Sehenswürdigkeiten in eurer Nähe, die ihr noch nicht kennt. Und selbst wenn ihr dort schon mal wart, könnt ihr sie nach einigen Jahren auch nochmal besichtigen. Für behinderte Menschen gibt es eigentlich immer Wege, um an Denkmäler o.Ä. heran zu kommen. Im Zweifelsfall leiht euch einen Rollstuhl oder andere Gehhilfen, wenn ihr nur so eine größere Strecke überstehen könnt.
  • Kinoabende: Macht sie einfach bei euch Zuhause. Ladet die Freunde ein, stellt Getränke kalt und macht euer Popcorn selber. Ist nicht nur deutlich günstiger, sondern ihr könnt jederzeit auf Pause drücken. Mal ganz ehrlich, im Zeitalter von Amazon Prime, Netflix und Disney+ werden Kinos über kurz oder lang eh aussterben. Solltet ihr zudem noch in einer größeren Stadt wohnen, erkundigt euch bei den Kinos nach Liegesesseln. Werden teilweise angeboten.

5. Sich helfen lassen

Einer der schwersten Punkte, wenn man ein stolzer Mensch ist. Ich hatte – und habe es auch jetzt noch – immer große Probleme damit, mir bei den einfachsten Dingen helfen zu lassen. Aber irgendwann kommt ihr an den Punkt, wo das nicht mehr anders geht. Bittet die Leute um Hilfe und Unterstützung, wenn ihr sie braucht. Lasst euren Stolz euch nicht im Weg stehen. Auch Hilfsmittel, die euch in jungen Jahren wie ein alten Knacker aussehen lassen, solltet ihr in Betracht ziehen. Wenn ihr mit einem Rolllator sicherer gehen könnt, dann tut es. Auch ein Rollstuhl kann helfen. Macht es einfach, denn dann könnt ihr an viel mehr Teilhaben als ihr denkt!

6. Nicht in der Vergangenheit festhängen

Ich erwische mich oft selber dabei, dass ich in Erinnerungen schwelge. Natürlich ist das auch gut so, denn man kann so sein Leben einmal rekapitulieren und wird vielleicht etwas glücklicher als man es gerade ist. Schließlich hat jeder schon mal verrückte Dinge gemacht oder erlebt! Macht aber nicht den Fehler, dass ihr die Vergangenheit ständig mit dem Jetzt vergleicht. Ich mache das ab und zu leider auch noch und rede davon, wie ich Dinge reparieren oder sanieren würde, wenn ich könnte. Aber ich kann es eben nicht mehr. Nehmt euch nicht vor, es noch einmal zu probieren, wenn ihr euch nicht zu 100% sicher seid, dass ihr es auch schaffen könnt. Die Enttäuschung, wenn man es am Ende doch nicht schafft, ist viel zu groß.
 

Es gibt bestimmt noch viele andere Punkte, über die man sich Gedanken macht und welche man nicht außer Acht lassen darf. Vielleicht komme ich auch irgendwann zu der Erkenntnis, dass diese Punkte hier verändert werden müssen. Es gibt auch keine bestimmte Gewichtung, das ist bei jedem unterschiedlich. Schließlich sind wir alle anders, auch unsere Erkrankungen unterscheiden sich im Detail. Aber ich hoffe, dass wenigstens der ein oder andere hierdurch ins Grübeln gekommen ist und Dinge anders betrachten kann.

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