Chronische Schmerzen und die Psyche

Heute möchte ich mich einem Thema widmen, welches bei Schmerzen oft ignoriert oder übersehen wird: Die Psyche. Bei chronischen Schmerzen ist die Wahrnehmung und Verarbeitung von Schmerz grundlegend gestört. Der Schmerz als Warnung hat seine Funktion vollständig verloren. Schmerz funktioniert bei chronisch Kranken nicht mehr wie bei normalen Menschen. Wir Chroniker fühlen immer einen Schmerz. Mal mehr, mal weniger. Mal können wir ihn gut nach hinten schieben, mal eben nicht. Wenn ich lächle, heißt das nicht, dass ich in diesem Moment keine Schmerzen habe. Es bedeutet nur, dass ich sie in diesem Moment kurz nach hinten schiebe. 

Das Schmerzgedächtnis

Große Krankenkassen schreiben auf ihren Websites immer wieder über das tolle Schmerzgedächtnis, welches bei chronifizierten Schmerzen gestört ist und durch eine Therapie zurückgesetzt werden muss (vereinfacht gesagt). Das soll dadurch erreicht werden, dass der Schmerz eine Zeit lang vollständig betäubt wird und unser Körper sich an schmerzfreie Zeiten erinnert. Das wird dann kombiniert mit gezieltem Aufbau von Muskulatur sowie einer „Schulung“ der Psyche in Themen wie Verständis von Schmerz, Entspannung und Akzeptanz. Das Ganze nennt sich dann multimodale Schmerztherapie. Ich habe das schon hinter mir und kann leider die angeblich positiven Effekte, welche uns durch die Krankenkassen und Anbieter solcher Therapien vermittelt werden, nicht bestätigen.

Der Schmerz hat eine Ursache

Schmerz ist immer auf ein Schaden im Körper zurückzuführen. Entweder sind Nerven mechanisch geschädigt oder werden bedrängt (wie bei einem Bandscheibenvorfall, einem Hexenschuss oder ähnlichem) oder die Psyche verarbeitet ein entsprechendes Ereignis (z.B. bei tiefer Trauer). Die primäre Therapie lautet dann immer, diese Ursache zu beheben, um die Schmerzen zu beseitigen. Der Bandscheibenvorfall wird operiert oder das umgebende Gewebe gestärkt, der Trauerfall wird verarbeitet und rückt mit der Zeit nach hinten. Aber oft kann ein Schaden gar nicht beseitigt werden. Beschädigte Nerven können nur zu einem geringen Grad heilen. Einen toten Menschen kann man nicht zurück bringen. Ein amputiertes Bein wird immer amputiert bleiben. Ich kann also in der Therapie nur versuchen, besser mit dem Schaden umzugehen. 

Bleibende Schmerzen belasten die Psyche

Wenn man jeden Tag aufs neue Schmerz erfährt, wird die Psyche nachhaltig beschädigt. Machen wir uns nichts vor: Wir gehen dem Schmerz lieber aus dem Weg. Das ist auch völlig verständlich. Es gibt Menschen, die können es nicht mehr ertragen, Schmerzen zu haben und bewegen sich deswegen so wenig wie möglich. Sie existieren in ihren vier Wänden oder vielleicht sogar nur noch in einem Bett. Dem Schmerz entgegen zu treten bedeutet immer auch eine Art Kampf führen zu müssen. Und mal gewinnt man, mal verliert man.

Sich motivieren

Das Leben um einen herum sollte eine Motivation sein, dem Schmerz entgegen zu treten. Chronisch Kranke Menschen sind auf ihr Umfeld angewiesen. Dieses Umfeld muss ständig versuchen, uns zu motivieren und uns die schönen Seiten zu zeigen. Denn nur so schaffen wir es, uns nicht aufzugeben und den Schmerz gewinnen zu lassen. Für mich sind nicht Entspannungsübungen oder Medikamente wichtig, um den Schmerz zu bekämpfen. Vielmehr sind es Besuche in einer Kneipe, das Spielen mit den Neffen und Nichten, Urlaube, gutes Essen und ein Kontakt zum Leben vor der Krankheit. Als Handwerker freue ich mich auch immer, wenn ich nach einem Rat oder einer Meinung gefragt werde. Ich kann zwar dann nichts mehr selber „bauen“, aber ich kann trotzdem irgendwie helfen und bin „dabei“. Für mich ist das eine größere Hilfe zur Schmerzbewältigung als jedes Schmerzmittel. 

Depressionen

Erstaunlicherweise können Menschen mit Verlusten gut umgehen. Oft gehen wir sogar gestärkt aus einer kritischen Situation hervor. Wir lassen uns nicht unterkriegen. Aber eine dauerhafte Erkrankung, die das – eigene – Leben massiv verändert, führt leider auch oft zu einer Form von Depression. Und das ist aus meiner Sicht auch völlig verständlich. Eine schwere, chronische Erkrankung sorgt dafür, dass man große Teile seines bisherigen Lebens von jetzt auf gleich verliert. Man kann nie wieder seiner Arbeit nachgehen, die einem viel Spaß gemacht hat. Man kann vielleicht nie wieder seinem Hobby – oder mehreren – nachgehen. Man muss sein Leben in großen Teilen begraben. Es ist also verständlich, wenn die Psyche das nicht mehr schafft und „krank“ wird. Das ist auch nichts, was man irgendwann überwinden kann. Man wird immer daran erinnert, dass man etwas verloren hat. Vielleicht kann man irgendwann besser damit umgehen und die depressiven Phasen werden weniger – aber die Psyche in diesem Bereich heilen? Wird vermutlich nichts werden. Und das ist okay. Das sollte man selbst – und auch das Umfeld – akzeptieren. Denn sich das Passierte schön reden hilft leider nicht. 

Ein ewiger Kampf

Mit chronischen Schmerzen zu leben, heißt kämpfen zu müssen. Jeden Tag aufs Neue. Dieser Kampf wird auch niemals aufhören. Es wird Tage geben, an denem einen alles zu viel wird, an denen man weint, das Schicksal verflucht und sich fragt, warum man das alles durchleben muss. Es wird aber auch Tage geben an denen man vieles kurzzeitig vergisst und einfach glücklich und froh ist, dass man lebt. Auch wenn man Schmerzen hat, kann man an solchen Tagen lachen. Und ich wünsche jedem, dass diese Tage überwiegen. 

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