6 Uhr. Ich liege noch im Bett und Wilma steht neben meinem Bett. Sie klappert seit einer halben Stunde mit Ihren Pfoten auf dem Laminat und ich könnte wahnsinnig werden. Warum kann der Hund nicht still liegen und mich einfach schlafen lassen? Aber eigentlich ist das ungerecht. Ich war sowieso schon wach, habe mich im Bett gewälzt und versucht eine Position zu finden, in der ich mal keine Schmerzen habe. Aber das ist verschenkte Mühe, denn diese Position gibt es nicht. Im Hinterkopf macht sich immer das Bewusstsein breit, dass der Schmerz da ist.
Also stehe ich auf, auch wenn ich mich wie vom LKW überfahren fühle. Wilma läuft schonmal vor zur Haustür, während ich mich mühsam anziehe. Morgens ist mein Körper einfach noch sehr steif und mein Kopf braucht länger, um den Händen und Beinen Befehle zu geben. Fertig angezogen geht es mit dem kleinen Nervenbündel nach unten, damit sie sich einmal erleichtern kann. Mittlerweile kennt sie den Ablauf schon, macht einmal auf den Rasen und dreht sich dann um und rennt schnurstracks Richtung Treppe und will wieder nach oben. Schließlich hat sie Hunger und will endlich futtern! Ich mache nur langsame Schritte, wackelige Schritte, weil mir mein Körper noch nicht gehorcht. An der Treppe angekommen, mache ich Wilma los und lasse sie alleine nach oben rennen. Ich muss mich abstützen, weil mir die Kraft und auch die Koordination oft fehlt, die Füße richtig voreinander zu stellen. Und dann ist da ja auch noch der Schmerz. Im Knie, im Lendenwirbel und auch im Nacken. Aber ich muss ja irgendwie weiter machen.
Oben angekommen bekommt Wilma erstmal Frühstück. Ich muss mich runterbeugen, um das Futter aus dem großen Beutel zu holen und nochmal, um es in ihren Napf zu geben. Mein Rücken schmerzt bei diesen Bewegungen, mir wird den Bruchteil einer Sekunde schwindelig. Leider passiert das sehr häufig. Aber ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt und weiß, dass es nur in meinem Kopf ist und ich nicht umfalle.
Jetzt brauche ich aber erstmal Kaffee. Ich gehe in die Küche, mache den Vollautomaten an und mache 2 Kaffee. Wieder einmal Bücken, weil ich die Milch aus dem Kühlschrank hole und in eine der beiden Tassen gebe. Beim Zurückstellen schießt es einmal kurz durch den gesamten Rücken – Aua! Aber der Schmerz wird schnell wieder weniger. Ich gehe mit den beiden Kaffee in das Wohnzimmer. Ich lege mich auf das Sofa und spüre, wie der Schmerz etwas weniger wird und die Beine fürchterlich anfangen zu Kribbeln. Ich mache das Frühstücksfernsehen an und trinke dabei in Ruhe meinen Kaffee, bis mein Schatz irgendwann aus dem Bad kommt und mir einen Kuss als Dank für den Kaffee auf die Lippen drückt. Ein tägliches Ritual. Nicht, weil das Frühstücksfernsehen so wichtig oder toll ist, sondern weil ich diese Pause in dem Moment einfach schon wieder brauche. Früher hätte ich mich direkt fertig gemacht und wäre zur Arbeit gefahren.
Nach ungefähr einer halben Stunde muss dann meine Freundin zur Arbeit. Ich mache ihr wie jeden Morgen noch schnell ein Wasser im Sodastream fertig und gehe zusammen mit Wilma zur Tür, um sie zu verabschieden.
Danach muss ich erstmal etwas tun. Auch wenn mir alles weh tut, merke ich doch, dass heute ein guter Tag ist und ich mehr Kraft habe als sonst. Ich suche Wäsche zusammen und stelle erstmal eine Waschmaschine an. Danach muss ich mich hinsetzen, weil meine Beine etwas wackelig vom Bücken und gehen sind. Ich setze mich vor den PC und lese ein paar Artikel über das tägliche Geschehen. Das dauert aber nur 30 Minuten. Anschließend wasche ich mich und lege mich dann wieder aufs Sofa und lese in meinem Buch. Das geht heute erstaunlich gut. An schlechten Tagen lese ich viele Sätze doppelt und dreifach und habe sie immer noch nicht begriffen. Aber heute kann ich eine ganze Weile lesen.
Irgendwann meldet sich Wilma wieder. Ich habe die Zeit völlig vergessen und war in meinem Buch vertieft. Schon halb 11! Ja, da will sie natürlich mal raus. Ich ziehe mir also Schuhe an, schnappe mir die Leine und „düse“ mit ihr los. Einmal die Straße rauf und runter. Mittlerweile bin ich nicht mehr so extrem wackelig und steif und habe etwas mehr Kontrolle über meinen Körper. Wilma schnüffelt an jedem Grashalm und ich lasse sie das auch machen. Schließlich kann ich mit ihr nicht die vielen Meter machen und um wieder müde zu werden, braucht sie eben „Nasenarbeit“. Heute ist ein guter Tag und ich schaffe es erstaunlich weit. Ein ganzer Kilometer! Ich habe dafür zwar über eine halbe Stunde gebraucht, aber das ist nicht schlimm.
Als wir wieder Zuhause angekommen sind, bin ich schweißüberströmt und muss dringend liegen. Ich bin an meine Grenze gegangen, wie ich es jeden Tag tue. Diese individuelle Grenze, die jeden Tag anders ist. Aber nur so erhalte ich das bisschen Kraft und Beweglichkeit. Ich mache mir jetzt den Fernseher an und lasse irgendetwas im Hintergrund laufen, auch wenn ich es eigentlich gar nicht richtig mitkriege. Meine Augen fallen kurz zu, überwältigt von der Anstrengung, und ich döse eine halbe Stunde vor mich hin. Bis Wilma dann aufs Sofa springt und mir durchs Gesicht leckt. Sie hasst es einfach, wenn ich schlafe.
Jetzt meldet sich Hunger bei mir. Ich habe heute auch noch nichts zu mir genommen, abgesehen von 3 Bechern Kaffee und einem Glas Wasser. An schlechten Tagen würde ich mir einfach ein Müsli machen, aber heute möchte ich mehr. Ich mache mir eine große Portion Rührei mit Paprika. Wilma steht natürlich auch in der Küche und hofft, dass etwas für sie abfällt. Na gut. Ein Stück Gurke, das ist okay.
Nach dem Essen hänge ich die Wäsche aus der Waschmaschine auf. Ich fühle mich immer noch so, als hätte ich mehr Kraft als sonst – also hole ich den Staubsauger aus der Halterung. Zum Glück ist der Kabellos, das erleichtert mir sehr viel und ich muss mich nicht so viel Bücken. Und heute habe ich es dann tatsächlich geschafft, die ganze Wohnung zu saugen! Nur das Sofa habe ich noch nicht abgesaugt. Das kommt erst nach einer weiteren, kleinen Pause. 20 Minuten die Füße hochlegen und die wackeligen Beine und den schmerztenden unteren Rücken entlasten. Vom Sofa aus greife ich nach einer Wasserflasche, die auf dem Tisch steht. Verdammt, mit einer Hand klappt es nicht. Ich merke, wie sich Schwäche in meinen Armen ausbreitet. Also gut, aufrichten, die zweite Hand dazu nehmen. Dann geht’s.
Aus 20 Minuten Pause wird eine Stunde. Ich habe mich vom Fernsehen beriesen lassen und konnte die Schmerzen ein bisschen nach hinten schieben. In dieser Stunde konnte ich auch wieder mehr Kraft sammeln. Wilma lag neben dem Sofa in ihrem Korb und guckt mich an, als ich aufstehe. Ja, jetzt ist sie wieder dran. Es ist mittlerweile halb 3 und sie möchte spielen. Ich schnappe mir einen Ball, mache die Tür auf und lasse sie auf den Rasen rennen. Sie wedelt wie verrückt mit dem Schwanz und ich werfe den Ball und sie bringt ihn mir zurück. Das Spielchen machen wir ein paar Minuten, bis ich dann anfange mit ihr ein paar Trainingsübungen zu machen. Bleiben. Nicht von anderem Spielzeug ablenken lassen. Rolle machen. Nach Signal auf mich zu kommen. Einfache Dinge eben, die mich körperlich nicht zu sehr fordern. Denn das Stehen und Gehen auf dem Rasen fordert schon ihren Tribut.
Nachdem wir 20 Minuten gespielt und „trainiert“ haben, reicht es Wilma fürs Erste. Jetzt kommt auch gleich ihr Frauchen von der Arbeit. Ich lege mich wieder aufs Sofa und schnappe mir nochmal das Buch. Ich merke aber, dass das Lesen jetzt doch schon schwieriger wird und ich mich deutlich mehr konzentrieren muss als noch am Vormittag. Ich warte, bis Theresa nach Hause kommt. Wilma rennt zu Tür und ich raffe mich auf, um hinterher zu gehen. Mein Schatz sieht nun ziemlich genau, wie es mir geht. Sie hat da mittlerweile einfach den passenden Blick dafür.
Sie fragt, was wir heute Essen wollen. Ich schlage ihr vor, dass wir doch in der Familie rumfragen könnten, ob jemand spontan grillen möchte. Ich hätte nämlich Lust, das Haus noch etwas zu verlassen. Eine halbe Stunde später machen wir uns dann mit Würstchen aus dem Kühlschrank auf den Weg zur Familie. Wilma ist auch dabei, denn die kann da prima toben. Ihre Freundin Frieda kommt auch noch spontan vorbei. Jetzt sitze ich fast 3 Stunden mit der Familie am Tisch. Ich stehe ab und zu auf, um etwas Bewegung rein zu bringen – nur sitzen geht auch nicht. Und ich grille zwar nicht selber – das macht der Schwager – aber ich bin in Gesellschaft. Irgendwann kommt aber dann der Moment, wo ich den Schmerz nicht mehr aushalten will. Dann fahren wir nach Hause. Es ist mittlerweile fast 9 Uhr.
Ich putze mir schnell die Zähne und falle dann ins Bett. Meine Beine kribbeln, der gesamte Oberkörper schmerzt. in meinen Armen ist ein wechselndes Stechen und meine Hände sind ziemlich taub. Aber ich bin glücklich. Ich konnte heute eine Menge schaffen. Dinge, die ich an einem schlechten Tag nicht schaffe. Mein Schatz kommt kurze Zeit später dazu und daddelt noch etwas auf ihrem Handy. Sie weiß, dass ich jetzt nichts mehr im Fernsehen gucken möchte, weil mir gleich eh die Augen zufallen. Ich gebe ihr noch einen Gutenacht-Kuss und schlafe dann ein. Völlig erschöpft, aber zufrieden und glücklich. Heute war ein guter Tag.
Schöner Beitrag, herzlichen Dank.
Vielen Dank!