Bei Schmerzen nehmen wir oft Medikamente ohne auf die Nebenwirkungen zu achten. Man nimmt sie ja nicht lange. Chronische Schmerzen zeichnen sich nicht nur dadurch aus, dass man eben Schmerzen hat. Vielmehr ist man auch dazu gezwungen, die Schmerzen auf irgendeine Art und Weise zu kontrollieren. Manchmal klappt das schon mit einfacher Ablenkung. Oft muss aber eben ein Schmerzmittel her.
Wovon reden wir hier überhaupt?
Ich rede hier allerdings nicht von Schmerzmitteln wie Novalgin, welche direkt nach der Operation – meist als Tropf – verabreicht werden. Während meiner Kreuzbandrisse habe ich die Schmerzen oft durch hohe Dosen von Ibuprofen und Paracetamol unterdrückt. Das Tückische bei dieser Art von Schmerzmittel ist die Tatsache, dass sie nach wenigen Wochen an Wirkung verlieren. Zudem werden Leber und Nieren belastet und bei längerer Anwendung beschädigt. Da meine Kreuzbandrisse in zeitlich kurzen Abständen von ca. einem Jahr aufgetreten sind, wurde meine Resistenz gegen die genannten Schmerzmittel immer stärker. Irgendwann konnten mir Ibuprofen und Paracetamol nicht mehr helfen, sodass ich Diclofenac und zusätzlich einen Magenschoner bekommen habe. Wie ihr euch denken könnt, ist das dauerhaft auch keine gute Idee, da die Magenschleimhäute angegriffen werden können. Aber wie es so ist, wenn man oft und viel Schmerzmittel nimmt, hat auch Diclofenac nach weiteren Operationen nur noch gewirkt wie Smarties.
Hilfe, die Medikamente wirken nicht mehr…
Als ich dann den Bandscheibenvorfall hatte, bekam ich Schmerzen, die ich bis dahin noch nicht kannte. Ihr müsst wissen, dass Operationsnarben oder Beschädigungen am Knochen (z.B. bei der Entnahme von Knochenmaterial für den Aufbau von Bohrkanälen bei einem Kreuzbandriss) im Vergleich zu Nervenschmerzen ein absoluter Witz ist. Wo ich vorher nur in der Landesliga der Schmerzen gespielt habe, stieg ich jetzt in die Bundesliga auf. Mein Ohrthopäde versuchte es 3 Tage lang mit hohen Dosen von Diclofenac. Wirkte nicht. Anschließend gab er mir über eine Woche lang täglich Novalgin über einen Tropf. Als ich das Schmerzmittel in der Apotheke holte, fragte die junge Frau nur „Mein Gott, ist das alles für Sie? Was haben Sie denn gemacht?“. Nun war mein Bandscheibenvorfall aber in so einem großen Ausmaß, dass der Nerv durchgehend penetriert wurde und auch Novalgin keine Wirkung mehr zeigte.
Wenn die Hausapotheke nicht mehr hilft
Das war der Zeitpunkt, bei dem ich ins Krankenhaus nach Kempen gefahren bin. Hier wurde ich von einem Chirurgen untersucht, welcher der Ansicht war, dass alles Warten hier nichts mehr bringen würde. Ich hatte höllische Schmerzen. Als ich dann vom Arzt gefragt wurde, ob ich mich nicht direkt heute noch operieren lassen möchte, hatte ich Glücksgefühle wie ein 3-Jähriger, der das erste Mal gegen einen Ball kickt.
Wie, das kann noch gesteigert werden?
Jup, kann es. Nach der Bandscheiben-OP ging es mir zunächst gut. Aber dann ist der Ischias-Nerv angeschwollen und auch Novalgin im Tropf half nicht mehr. Ich erhielt dann einen Cocktail mit etwas Morphin und zusätzlich ein Kortison-Mittel, damit der Nerv wieder abschwillt. 3 Tage später hatte ich kaum noch Nervenschmerzen und konnte das Krankenhaus wieder verlassen.
Immer wieder Nervenschmerzen…
Als meine Schmerzen vor einem Jahr anfingen, konnte ich es kaum fassen. Warum hab ich eigentlich nie Ruhe mit dem Scheiß und hab seit fast 15 Jahren immer nur Schmerzen? Natürlich passierte es auch noch im Urlaub, als wäre der Schmerz an sich nicht schon schlimm genug. Der Hausarzt, der mich zuerst untersuchte, was völlig überfordert und hat mich direkt eingewiesen. Zur ersten Unterdrückung der Schmerzen gab er mir Tramadol. Er hätte mir auch genauso gut ein TicTac geben können. Im Krankenhaus wurden meine Schmerzen größtenteils ignoriert und ich wurde mit einer geringen Dosis Diclofenac abgespeist. Im Verlauf der nächsten Monate war ich bei so vielen Ärzten, dass ich mittlerweile eine Vielzahl an Medikamenten zuhause habe: Ibuprofen, Paracetamol, Diclofenac, Novalgin, Tramadol, Tilidin, Pregabalin, Amineurin, … Und mit den letzten 3 Schmerzmitteln fing der Kontrollverlust an.
Kontrollverlust: Wenn du nicht mehr weißt, was du tust
Tilidin ist nicht umsonst eine „neumodische Droge“. Wenn man eine höhere Dosis nimmt, fühlt es sich an als würde man fliegen. Um einer Abhängigkeit entgegen zu wirken wird das Mittel mit Naloxon kombiniert. Aber glaubt mir: Wenn ihr das Zeug lange genug nehmt, seid ihr trotzdem zu einem gewissen Grad abhängig. Als meine Ärzte endlich herausfanden, dass ich Nervenschmerzen habe, wurde ich von Tilidin auf Pregabalin umgestellt. Ich habe eine Woche lang mit erhöhter Temperatur, Schweißattacken, Schüttelfrost und Ruhelosigkeit verbracht. ich habe also einen richtigen Entzug durchlebt, obwohl ich die Entscheidung dazu noch aktiv treffen konnte. Zwar konnte Tilidin meine Schmerzen nicht unterdrücken, aber es hat für den ersten Kontrollverlust gesorgt. Ich konnte mich selber dabei beobachten, wie die Worte aus meinem Mund nicht so schnell kamen, wie ich sie dachte. Ich lallte, ich konnte die Worte oft gar nicht aussprechen. Zwar konnte ich mit Tilidin halbwegs gut schlafen, aber nicht mehr klar denken und sprechen können ist ziemlich beängstigend.
Pregabalin – Jetzt wird es beängstigend
Pregabalin (auch unter dem Markennamen Lyrica bekannt) hat das Ganze noch einmal getoppt. Die Wortfindungsstörungen bleiben. Ich kann oft nicht sagen, was ich wirklich im Detail meine. Zu allem Überfluss wirkt das Medikament auch noch so, dass ich mich den ganzen Tag müde und abgeschlagen fühle. Dazu kommt, dass ich im ersten Teil der Nacht nicht mehr klar ansprechbar bin. Ich scheine zwar irgendwie auf Weckversuche zu reagieren, auch zu sprechen, aber ich kann mich an nichts – wirklich an gar nichts davon – erinnern. Das war der Moment, an dem ich mir gesagt habe, dass ich lieber ein gewisses Maß an Schmerzen ertrage, bevor ich mein eigenes Sein aufgeben muss und zu einem sabbernden und verwirrten Idioten werde.
Ich habe auch jetzt noch Angst davor, die Kontrolle über mich zu verlieren. Wenn dir deine Freundin am nächsten Morgen erzählt, was du in der Nacht alles so erzählt hast und du dich nicht mehr daran erinnerst, kriegst du panische Angst. Ich will nicht, dass Medikamente mein Wesen so sehr verändern. Ich möchte ich bleiben. Natürlich verändern mich Schmerzen auch dauerhaft – Aber zu wissen, dass die Schmerzen zu mir gehören und nicht mehr gehen, ist ein erster Schritt um auch dem gegenzuwirken.
Amineurin
Zuletzt wurde mir Amineurin verschrieben. Es wirkt aufhellend, lässt die Schmerzen weniger wichtig erscheinen. Eigentlich ist es eher ein Antidepressivum. Aber machen wir uns nichts vor: Schmerzen machen auf lange Sicht zum Teil depressiv und eine Behandlung dessen kann dann nicht verkehrt sein.
Und die Nebenwirkungen bei Medikamenten?
Machen wir uns nichts vor: Jedes Medikament hat Nebenwirkungen. Man fühlt sich müde und schlapp, nimmt an Gewicht zu oder ab, wird launisch, depressiv oder ist nicht mehr man selbst. Je härter das Schmerzmittel, desto stärker sind auch die Nebenwirkungen. Ich hab bisher erstaunlich wenig Probleme mit meinem Magen gehabt, dafür aber mit der Abgeschlagenheit, Gewichtszunahme und vor allem Schwitzen. Bei mir läuft das Wasser nur noch wie eine Sturzflut aus jeder Pore. Jeder muss aber selbst für sich entscheiden, welche Nebenwirkung noch akzeptabel ist oder ab wann es zu viel wird. Lest euch ruhig den Beipackzettel durch. Aber verfallt nicht in Panik bei dem, was da alles steht. Das meiste tritt wirklich nur sehr, sehr selten auf. Hört auf euren Körper. Wenn ihr eine Veränderung bemerkt, guckt im Beipackzettel, ob sie dort aufgeführt ist. Wenn nicht, hat es vermutlich andere Ursachen.
Fazit
Schmerzen verändern unser Leben massiv. Aber Schmerzmittel eben auch. Wir gehen immer auf einem schmalen Grat und neigen uns in eine Richtung. Entweder mehr Schmerz oder eben mehr Kontrollverlust. Jeder muss den passenden Mix selber finden. Denn auf Schmerzmittel verzichten klappt nur in den seltensten Fällen – und dann sind wir auch nicht mehr wir selbst.