Erholung

Es gibt Tage, die sind extrem anstrengend und man kann einfach nichts anderes machen, als diese Anstrengung irgendwie auszuhalten. In meinem Fall kann das eine lange Autofahrt sein, eine Konfirmation der Nichte, lange Besuche von Freunden oder Familie oder wenn ich mich einem meiner Projekte widme. Ich werde mich an solchen Tagen immer zwangsläufig verausgaben. Man könnte sagen, dass ich bei einigen Dingen die Wahl habe, wie z.B. bei Treffen mit Freunden oder meinen Projekten. Aber ist das wirklich so?

Die Wahl haben

Wenn wir chronisch Kranken uns Normalität wünschen, müssen wir uns immer zwischen wenigen Schmerzen und vielen Schmerzen entscheiden. Manchmal ist aber eben die Normalität wichtig, um uns inneren Frieden und Ruhe zu geben. Wir brauchen Ablenkung. Wir wollen nicht ständig an unsere Krankheit erinnert werden! Und manchmal ist es eben auch so, dass wir lieber ein Projekt in Angriff nehmen, was uns körperlich völlig verausgabt und wir massive Schmerzen haben. Dafür haben wir dann aber einen Moment lang das Gefühl, dass wir mit unseren Händen noch etwas erreichen können, dass wir – wenn auch in einem sehr langsamen Tempo – Dinge erreichen können, die uns ein Arzt nicht mehr zutraut oder uns sogar davon abraten würde, es überhaupt zu probieren. Wir handeln bewusst gegen den Rat unserer Ärzte, weil wir einfach etwas „normales“ tun müssen. Wir müssen nicht nur auf unsere mechanischen Probleme achten, sondern dafür sorgen, dass wir nicht auch noch geistige Probleme bekommen. Ich will nicht verblöden, ich will nicht ständig frustriert sein, ich will gefordert werden – körperlich und geistig. Man kann nicht alles in Einklang bringen, diese Möglichkeit hat uns unsere Krankheit genommen. Aber wir haben immer die Wahl, in welchem Moment wir uns für eine bewusste Schädigung des Körpers zugunsten unseres Geistes entscheiden.

Man sieht es nicht

Wenn ich mich verausgabe, sieht man mir meine Krankheit nicht immer sofort an. Ich versuche immer, meine Schmerzen irgendwie zu unterdrücken und es nur zu zeigen, wenn ich nicht mehr anders kann. Allerdings kommt der Punkt relativ schnell. Ich kann dann nicht mehr stehen, ich kann nicht sitzen, ich kann nicht gehen. Ich bekomme Schweißausbrüche, ich spüre nur noch den Schmerz. Ich kann mich auf keine Gespräche mehr konzentrieren. In meinem Körper pulsiert, sticht und brennt nur noch der Schmerz. Die meisten Menschen in meinem Umfeld denken, dass mit Hinlegen dann alles getan ist. Ja, wenn ich liege, habe ich weniger Schmerzen. Aber sie sind NIE vollständig weg. Man kann sich das so vorstellen:

Mein Körper ist ein großes Fass, was eine gewisse Menge an Volumen aufnehmen kann. Den Schmerz stellen wir uns nun als Wasser o.Ä. vor. Ist das Fass voll, halte ich die Schmerzen nicht mehr aus und sie „brechen aus mir heraus“. Mit dem Moment, wo ich morgens aufwache, wird jede Minute des Tages ein kleiner Schluck Wasser in dieses Fass gekippt. Würde ich nur still da liegen und mich kaum bewegen, würde dieses Fass nie ganz voll werden. Aber ich bewege mich. Ich gehe mit Wilma raus, ich sitze vor dem PC, ich sitze auf dem Sofa, ich stehe kurz vor der Tür und unterhalte mich mit den Nachbarn oder ich fahre zu Familie, Freunden oder Ärzten. Mit jeder dieser Aktionen wird eine zusätzliche Menge an Wasser in das Fass geschüttet. Das Fass wird immer schneller voll. Wenn ich dann noch lange mit Freunden zusammen sitze, läuft das Fass irgendwann über und ich kann nur noch an die Schmerzen denken.

Ab diesem Moment muss irgendwie der Stöpsel gezogen werden. Es hilft nicht mehr, wenn ich mich nur auf das Sofa lege. Ich kann keinen Gesprächen mehr folgen, ich bin völlig auf meinen Körper und den Schmerz fixiert. Also muss ich dann den Kopf ausschalten, darf nicht mehr an Schmerzen denken und muss irgendwie versuchen, alles auszublenden. Das klappt bei mir leider nur dann, wenn ich schlafe. Dabei reichen aber leider keine 30 Minuten, es müssen schon einige Stunden sein. In diesen Stunden lasse ich die Flüssigkeit aus dem Fass raus, schaffe neuen Platz für weitere Schmerzen.

Wenn man abbrechen muss

Es tut mir einfach jedes Mal leid, wenn ich mich von meinen Freunden oder meiner Familie verabschieden muss. Aber ich gebe auch zu: Manchmal möchte ich den Moment nicht erreichen, in dem das Fass überläuft. Manchmal ist es mir das einfach nicht wert. Dann möchte ich nach Hause, möchte mich aufs Sofa legen, meine Ruhe haben. Ich möchte mich dann nicht an Gesprächen beteiligen und ich will auch keine Freunde oder Familie um mich herum sitzen haben. Versteht mich bitte nicht falsch: Wenn Menschen um mich herum sitzen, kann ich mich nicht entspannen. Dann möchte ich mich an den Gesprächen beteiligen, ich möchte auf Augenhöhe mit den Menschen sein. Ich werde mich zwangsläufig immer hinsetzen. Ich kann nur sehr schlecht stundenlang liegen, während andere sitzen, stehen oder gehen. In diesen Momenten ist mein Wunsch nach Normalität größer als der Wunsch nach Erholung. Deswegen ist es einfach besser, wenn ich die Versuchung gar nicht erst vor mir habe und solche Momente „abbreche“.

Die Dauer der Erholung

In den meisten Fällen brauche ich einen vollen Tag, um mich ansatzweise erholen zu können. An diesem Tag liege ich dann wirklich überwiegend rum und mache nichts. Manchmal konnte ich Situationen rechtzeitig abbrechen, sodass ich am nächsten Tag wieder einigermaßen „fit“ bin. Wenn ich mich aber vollkommen verausgabt habe und über einen Punkt hinweg gegangen bin, wo mir bei den Schmerzen teilweise schwarz vor Augen wird, dann reicht ein Tag nicht mehr. Dann brauche ich meist 2 oder sogar 3 Tage, an denen ich nur sehr wenig machen kann. Es ist dann für die Menschen in meinem Umfeld oft schwer zu verstehen, warum ich gewisse Dinge nicht tun kann oder will. Manchmal kann ich dann nicht mal eben mit dem Hund raus, weil jeder Schritt weh tut. Ich kann auch nicht irgendwo anders auf dem Sofa liegen, weil ich mich dann zwangsläufig wieder an Gesprächen beteilige. Es ist dann nicht nur der Körper, der Erholung braucht, sondern auch der Geist. Manchmal will ich dann auch nicht einkaufen gehen, auch wenn es nur kleine, leichte Sachen sind die gekauft werden müssen. Aber jeder Schritt tut weh. Jedes Stehen an der Kasse oder vor den Regalen wird zur Qual. Und ja, manchmal ist es sogar schwer, einen Arm zu heben. An solchen Tagen fühlt sich mein Körper einfach 10 Mal so schwer an. Jede Bewegung ist, als würde man Gewichte stemmen.

Erholung ausfallen lassen?

Es gibt Momente, da lasse ich die Erholung gewissermaßen ausfallen. Ich weiß dann eigentlich, dass mein Körper Ruhe braucht. Aber anderen Menschen in meinem Leben ist es dann wichtig, dass ich irgendwo dabei bin oder dass Freunde zu uns zu Besuch kommen können. Ich kämpfe mich dann einen weiteren Tag durch, obwohl das Fass noch nicht leer gelaufen ist. Ich lasse das Fass dann wieder überlaufen, aber finde irgendwo Kraft, um alles nach Außen hin abzuschirmen. Ich tue das dann für die Menschen, die mir wichtig sind. Es reicht, wenn eine Person unter so einer Situation leiden muss. Ich kann nicht verantworten, wenn die Menschen, die ich Liebe, deswegen auf alles andere verzichten sollen. Und manchmal ist es eben auch Liebe, wenn man sich irgendwie durchquält, nur um dabei zu sein. Damit die Menschen sehen, dass meine Freundin wirklich noch jemanden an ihrer Seite hat. Damit sie ab und zu auch ein bisschen Normalität hat. Und nicht ständig voller Kummer und Sorgen ist, wenn sie mich nur ansieht.

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