Chronisch krank zu sein heißt irgendwo auch, dass man behindert ist. Es gibt unterschiedliche Abstufungen von Behinderung, den einen erwischt es mehr, den anderen weniger. Früher hörte man überall „Ich hab 50%!“, aber das ist heute sachlich falsch. Eine Behinderung wird nicht in Prozent angegeben, sondern in einem Punktesystem von 0-100 Punkten. Hat man 100 Punkte, gibt es keine Steigerung, auch wenn sich die Behinderungen mitunter gravierend steigern können. So kann es Menschen geben, die 100 Punkte haben, aber ein schmerzfreies Leben (natürlich mit gravierenden Einschränkungen in einigen Lebensbereichen) führen können. Wir unterscheiden zwischen behindert und schwerbehindert.
Der feine Unterschied: Schwerbehindert
Schwerbehindert gilt jeder, der mindestens 50 Punkte erreicht hat. Man spricht immer so darüber, dass man es dann ja gut hätte, Steuererleichterungen kriegt und sogar umsonst Bus und Bahn fahren darf (Was auch nur bedingt gilt). Aber sind wir mal ehrlich: Man ist nicht nur behindert, sondern das auch noch schwer. Daran ist nichts, was auch nur ansatzweise gut ist. Ich habe mittlerweile die 50 Punkte bekommen, samt Schwerbehindertenausweis, aber ohne irgendwelche Kennzeichen, also keine besonders hervorstechenden Behinderungen. Ich bin einfach nur so generell im Arsch.
Ich habe eine Weile gebraucht, um das ganze Ausmaß hiervon zu begreifen. Meine Behinderung wurde nicht temporär festgestellt, sondern unbefristet. Ich werde wohl nicht mehr gesund. Es gibt im Moment keine sichtbare Hoffnung mehr. Ganz ehrlich: Das ist Scheiße. Ich rede zwar oft davon, dass ich nach vorne gucken will und dass ich immer weiter nach einer Heilung suche. Das stimmt auch. Aber für den Moment habe ich genug. Ich will nicht mehr ständig neue Hoffnung aufkeimen lassen, die dann durch ein einfaches MRT (Ja, jeder Arzt meint, er kann es besser) wieder zunichte gemacht werden.
Und jetzt?
Ich habe schon vor Monaten meinen Antrag auf Erwerbsminderungsrente gestellt. In dem Zusammenhang habe ich in gut 2 Wochen einen Termin beim Gutachter, der dann feststellen soll, dass ich wirklich nicht mehr arbeiten kann. Eigentlich sollte man ja meinen, dass es offensichtlich so ist, da ich garantiert nicht freiwillig einen gut bezahlten Job als Ingenieur aufgebe, der mir dazu noch sehr viel Spaß macht. Aber es gibt leider auch genug schwarze Schafe, die einfach keine Lust mehr auf einen schlecht bezahlten Job haben und lieber früher in Rente gehen wollen. Und dann ist da ja auch noch unser toller Sozialstaat, der natürlich eine ganze Menge dafür tut, dass die Bedürftigen auch garantiert einen Olympia-reifen Hürdenlauf durch unsere Bürokratie gewinnen müssen.
Ärzte, Ärzte, Ärzte
Ich werde nicht darum herum kommen, weiter zu Ärzten zu gehen. Einerseits brauche ich im Moment noch alle 4 Wochen eine AU-Bescheinigung, andererseits möchte ich natürlich eine gewisse Kontrolle über meinen Gesundheitszustand behalten. Da ich mir das MRT noch nicht selbst verschreiben kann und mir das Gerät wirklich zu teuer ist, muss ich mindestens einmal im Jahr zu verschiedenen Ärzten, um die Syrinx beobachten zu lassen. Aber abgesehen davon werde ich keine Ärzte mehr aufsuchen. Ich war in so vielen Krankenhäusern, habe so viele Neurologen, Neurochirurgen, Orthopäden und Allgemeinmediziner über mich gucken lassen. Ich sehe einfach nicht, dass es Sinn macht zu weiteren Ärzten zu fahren, welche nicht mal als absoluter Experte für meine beiden Krankheiten gelten. Außerdem muss ich mir nun mal eingestehen, dass ich eben nicht nur diese beiden seltenen Erkrankungen habe, sondern meine Wirbelsäule ein Haufen degeneriertes Elend ist und ich wohl Fehler in meiner Vergangenheit gemacht habe, die man nicht mehr reparieren kann.
Die Sache mit der Schwerbehinderung
Wenn man mich nur 30 Minuten irgendwo sieht, erkennt man nicht unbedingt direkt, dass ich Schwerbehindert bin. Man merkt vielleicht nicht mal, dass ich überhaupt etwas habe, außer wenn man mir auf die riesige Narbe am Hinterkopf guckt. Aber die Wahrheit ist: Ich habe Schmerzen. Ich habe immer Schmerzen, sie sind nie still. Ich habe Medikamente ausprobiert, ich habe es mit Sport probiert und ich werde auch in Zukunft versuchen, mir irgendwie eine Linderung zu verschaffen. Man sieht es nicht, aber es belastet mich. Wenn ich lange sitze, kann ich irgendwann nicht mehr klar denken. Ich bekomme Schweißausbrüche, weil die Schmerzen so stark sind. Aber ich will auch Leben und mich nicht von den Schmerzen unterkriegen lassen. Ich will ein Ziel haben, möchte nicht mehr nur von Arzttermin zu Arzttermin denken sondern auch mal einen Urlaub planen, ohne dass ich ein schlechtes Gewissen haben muss.
Was erwarte ich von anderen?
Ich erwarte nicht, dass mich irgendjemand anders behandelt, nur weil ich jetzt einen Behindertenausweis habe. Ich möchte auch nicht, dass mir jede Kleinigkeit im Leben abgenommen wird. Ich verstehe es wirklich, dass mir alle in meinem Umfeld helfen wollen. Ich habe auch eine Zeit gebraucht, in der mir die Entscheidung abgenommen wurde, ob ich nun um Hilfe bitte oder nicht. Aber ich muss das lernen und ich muss von mir aus sagen, wenn ich etwas nicht kann. Aber dann ist es wichtig, dass mir diese Personen auch helfen und nicht denken, dass ich doch diese Kleinigkeit nun auch machen kann, wo doch die anderen davor auch gingen. Ich komme irgendwann (mal früher, mal später) an den Punkt, wo mein Körper genug hat. Ihr seht das nicht. Aber ich fühle es. Dann brauche ich euch, dann brauche ich auch mal jemanden, der mir ein Glas Wasser holt.
Ich werde auch mal grantelig sein
Egal wie gut oder schlecht es mir geht: Ich habe sehr wenige Tage, an denen ich schlechte Laune habe. Aber wenn es dann soweit ist, dann reagiere ich oft irrational, sehe selber nicht, wie ich mit anderen spreche und halte es nicht aus, dass ich um ein Glas Wasser fragen muss. Dann wird mir alles zu viel, ich hasse meine Situation und komme einen Moment lang nicht klar. Dann bemitleide ich mich selbst dafür, dass ich jetzt schwerbehindert bin. Diese Tage wird es immer geben. Und manchmal möchte man dann auch einfach das Mitleid haben. Man möchte in den Arm genommen werden. Man will betüddelt werden. Und man möchte einfach verstanden werden von denen, die ihr Leben noch normal leben können. Die nicht danach entscheiden müssen, wo man auf einer Party sitzen oder liegen kann. Manchmal ist eben einfach alles Scheiße.