Fehler im System

Je länger ich krank bin und um eine bessere Versorgung mit Hilfsmitteln, Pflege oder Erleichterungen kämpfen muss, desto mehr regen mich die Fehler und Abläufe in unserem Gesundheits- und Versorgungssystem auf. Ich werde oft erstaunt angesehen, wenn ich von solchen Fehlern berichte, da vielen gesunden Menschen soetwas nicht klar ist. Versteht mich aber bitte nicht falsch: Wir leben in einem Sozialstaat und ich bin froh, dass wir – theoretisch –  eine vergleichsweise gute Versorgung für Behinderte haben. Ich habe viele Jahre in diesen Sozialstaat eingezahlt, ohne dass ich Leistungen benötigt habe und profitiere jetzt (teilweise) davon, dass so viele andere Menschen erwerbsfähig sind und mir somit ein gutes Leben ermöglichen. So wäre es zumindest, wenn es nicht gewisse Fehler im System gäbe.

Rentenversicherung

Wenn man nicht mehr arbeiten kann, muss man eine Erwerbsminderungsrente beantragen. Man reicht sämtliche Unterlagen ein, die man hat, entbindet Ärzte von der Schweigepflicht und wartet ab. Man wartet lange ab. Wirklich SEHR lange. Wenn man Glück hat, kommt der einem zugeteilte „Sachbearbeiter“, welcher zumeist sogar Arzt ist, zu der Einsicht, dass ein Gutachter doch mal über den Patienten gucken sollte. Jetzt nehmen wir auch mal an, dass jeder Gutachter völlig parteilos ist (dem ist nämlich leider nicht so). Dann wird ein Gutachten erstellt, in dem eine Erwerbsminderung festgestellt wird. Aber der Arzt, der dich nie gesehen hat, der nur Berichte liest, die von Menschen unter enormen Zeitdruck verfasst wurden (Ja, Ärzte haben keine Zeit für Berichte – Überraschung!) entscheidet letztendlich über deine Zukunft. In meinem Fall war/ist es so, dass ich laut Gutachter erwerbsunfähig bin – Aber der Arzt hat ein Salzkorn in der Suppe gesucht und mich deshalb absurderweise als vollschichtig arbeitsfähig beurteilt. Auch nach einem Widerspruch kam keine Einsicht beim sachbearbeitenden „Arzt“, sodass alles nun seit über einem Jahr beim Sozialgericht liegt. Und hier ist der Fehler im System: Während des gesamten Klageverfahrens, was teilweise über 4 Jahre dauert, gelte ich als Erwerbsfähig. Ich bekomme somit weder Krankengeld (was schon lange ausgelaufen ist) noch ALG I (ebenfalls ausgelaufen). Ich solle vielmehr mein Hab und Gut verkaufen, davon leben, bis eine Entscheidung getroffen ist. Und am Ende kann ich mir ja mein Hab und Gut wieder kaufen, nachdem eine Nachzahlung erfolgt ist (im Erfolgsfall). 

Zeit.  Gutachter und Ärzte haben sie nicht. Dadurch entstehen falsche Beurteilungen, welche zu langen Gerichtsverfahren führen. Die Gerichte sind durch die vielen Verfahren überlastet. Im Durchschnitt braucht „mein“ gericht 14 Monate von Klageeingang bis Urteil. In dieser Zeit ist man schlichtweg am Arsch. 

ALG II und Krankenkasse

Lustiger „Fakt“: Ich bekomme kein ALG II, weil ich eine Freundin habe, mit der ich zusammenwohne. Schließlich kann die ja für mich aufkommen. Ist ja logisch, dass sie finanzielle Verantwortung für mich übernehmen will, da wir ja schon über ein Jahr zusammen leben. Nicht verheiratet? Ist doch egal, heiraten ist eh ein veraltetes Konstrukt. Wenn ich anderer Ansicht bin, müsse ich das durch Unterlagen widerlegen. Welche Unterlagen? Das kann der Sachbearbeiter einem nicht genau sagen, der Gesetzestext auch nicht. Letztendlich entscheidet der Sachbearbeiter. Nun ratet mal, wie das wohl ausgeht.

Lustigerweise ist dieses veraltete Konstrukt genannt „Ehe“ aber doch irgendwo wieder relevant, und zwar bei der Krankenkasse. Dort kann ich mich nämlich erst familienversichern (also über meinen Partner versichern), wenn wir verheiratet sind oder in einer eingetragenen Lebensgemeinschaft sind. Das Resultat: Ohne eigenes Einkommen darf ich mich auch noch selbst krankenversichern. Schließlich habe ich nach Jahren der Krankheit in jungen Jahren immer noch einen Tresor voll mit Geld, von dem ich mein Leben und alle Versicherungen bezahlen kann. Kein Problem. Nennt mich bitte auch Dagobert

Pflege in Corona-Zeiten

Die Pflegekassen sind der Krankenkasse unterstellt. Es ist also lediglich eine Unterabteilung, welche sich Pflegekasse nennt und einen Prozentsatz von jedem Lohn bekommt, wodurch die Pflegebedürftigen dann „gepflegt“ werden sollen. Die Kassen sind aber seit Jahren leer, da die Pflegebedürftigkeit und die Kosten für die Pflege immer weiter ansteigen. Das ist auch verständlich, denn nicht jeder möchte heute sein eigenes Leben opfern um 24 Stunden am Tag sein Familienmitglied zu pflegen. Das ist völlig legitim und aus meiner Sicht auch richtig so. 

Nun muss man für eine Pflegegrad einen Antrag bei seiner Krankenkasse stellen. Dort sitzen keine Ärzte oder Pflegefachkräfte, sondern lediglich kaufmännische Sachbearbeiter. Somit wird vom Medizinischen Dienst der Krankenassen (ehemals MDK, jetzt MD) ein Gutachten angefordert. VOR Corona war es so, dass eine Pflegefachkraft oder ein Arzt zu dem Antragsteller nach Hause gefahren sind, um diesen auch zu sehen. Schließlich kann man am Telefon oder per Post nicht ansatzweise genau beschrieben, wie sich eine Behinderung auf das tägliche Leben auswirkt. Viele Dinge sind einem ins Blut übergegangen und werden einfach erledigt. Die werden dann nicht extra erwähnt. Bei einer persönlichen Begutachtung kann man das sehen – am Telefon eben nicht. 

Jertzt hat die Corona-Pandemie dafür gesorgt, dass der MD diese Begutachtung temporär telefonisch durchführen darf, um die Mitarbeiter zu schützen. Das Leben war schließlich komplett heruntergefahren. Nach einigen Monaten und entsprechenden Imfungen wurde dann das Leben wieder hochgefahren – nur beim MD nicht. Dort wird weiter ein Telefon-Interview durchgeführt – auf unbestimmte Zeit – weil es das Gesundheitsministerium erlaubt hat und man ja die Mitarbeiter schützen muss. In allen anderen Bereichen darf und muss der persönliche Kontakt aber wieder sein. Logisch. 

Man hat also vermutlich herausgefunden, dass eine telefonische Begutachtung 1. nicht so lange dauert, 2. viel günstiger ist weil man ja nicht fahren muss und 3. dadurch weniger Pflegestufen anerkannt werden müssen. Prima. Danke lieber #MedizinischerDienst für die wundervolle und Patientenorientierte Versorgung. 

Ich bin schwerbehindert – aber auf welche Art?

Mit einem Schwerbehindertenausweis hat man nicht nur im Beruf gewissse Nachteilsausgleiche, sondern auch bei der Steuererklärung oder der Nutzung von KFZ oder öffentlichen Verkehrsmitteln. Diese Erleichterungen sind jedoch meist nicht nur an den Schwerbehindertenstatus geknüpft, sondern auch an die erteilten Merkzeichen – also sozusagen eine besonders hervorzuhebende Eigenschaft der Schwerbehinderung. Diese wird durch das zuständige Versorgungsamt des Kreises oder der Stadt festgestellt. Man schickt denen einen Antrag, beschreibt seine Einschränkungen und entbindet Ärzte mal wieder von der Schweigepflicht. Das Versorgungsamt beauftragt dann einen internen Arzt mit der Beurteilung der Behinderung – rein nach Aktenlage, ohne den Menschen je gesehen zu haben. Kostet zu viel Zeit und zu viel Geld. Es ist nun so, dass die Liste mit den Einschränkungen – den Behinderungen im Alltag – mit den Arztberichten abgeglichen wird. diese Berichte hat der Antragsteller oft gar nicht gesehen, da sie vom Versorgungsamt direkt angefordert werden. Somit kann der Antragsteller auch nicht prüfen, ob der Arztbericht korrekt ist. Hier ist wieder das Problem Zeit: Ärzte haben keine Zeit um Widersprüche in den eigenen Berichten zu sehen oder den vorherigen Bericht genauer zu lesen. So steht in einem meiner Berichte, dass ich noch gut gehfähig bin – aber gleichzeitig wurde mir von der Krankenkasse ein Rollstuhl zur Verfügung gestellt. Diese Information stand jedoch in keinem Bericht, sodass mir zwar die Schwerbehinderung zugestanden wurde – jedoch nicht die Gehbehinderung. 

Fazit:

Es gibt sicherlich noch viele andere kleine Bereiche, die unlogisch und völlig absurd sind. Für mich sind die genannten jedoch die größten Fehler im System, wodurch ein behinderter Mensch noch mehr Probleme hat, um am Leben teilhaben zu können. 

2 Kommentare zu „Fehler im System“

  1. Hi

    Habe deine Seite heute entdeckt, ich verstehe dich voll und ganz!!!

    Bin zum Glück noch Berufsfähig! ,Mit 4 Kindern muss!

    Tja bei mir hat alles vor 4 Jahren angefangen, erst Bandscheiben enormer Verschleiß der Wirbelsäule nicht Alters entsprechend mit damals 31 ,und dann noch viele unterschiedliche Meinungen von Ärzten von MS ,Motoneuronen Krankheit oder Polyneuropathie und Neuralgische Amyotrophie, man meint eigentlich, die Ärtze haben alle das Gleiche Lehrbuch gehabt? Dem scheint nicht so ! Habe zum Glück eine super Neurologin gefunden im letzten Jahr und die Betreut mich was die Spastik angeht und die Schmerz Therapie.

    Hatte schon 2020 einen gdb von 40 bekommen aber nur auf ein Jahr wegen der Diagnose Neuralgische Amyotrophie Und Wirbelsäule dann kamm die Hauptdiagnose Syringomyelie HWK 6 auch wenn ich beim Versorgungsamt 2 mal Einspruch leisten musste, da sie die Krankheit nicht kennen,?? kamm doch dann eher unerwartet Der GDB von 70 mit merkzeichen G (habe auch noch eine Fußheberschwäche ,kleinzehen und Großzehen Schwäche rechts )

    Und das ohne ,so was wie VDK ,manchmal muss man einfach dreist sein und auf sein Recht pochen und nicht aufgeben!!

    Grüße

    René

    1. Hallo René,

      leider steht unsere Erkrankung in den meisten Lehrbüchern nur auf höchstens einer Seite und wird daher kaum beachtet. Das ist leider der Nachteil an so einer seltenen Erkrankung. Ich denke viel wichtiger ist es, dass Ärzte sich informieren, sobald sie mit der Erkrankung konfrontiert werden. Und das tun eben die meisten nicht und dann ist man als Patient wieder der Dumme.

      Bei mir läuft seit 2 Monaten eine Neufeststellung vom GdB. Mal gucken, was dabei dann rum kommt. Ich denke aber, dass ich auch da in den Widerspruch gehen muss und um mein Recht kämpfen werde.

      Liebe Grüße,
      Flip

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