Es regnete wie aus Kübeln, aber das machte mir nichts. Ich lief den Fluss entlang, immer weiter und immer schneller. Ich liebe es einfach zu joggen, wenn es regnet. Man hat die Strecke meistens für sich ganz allein und der Regen kühlt die Haut. Solange ich laufe, geht es mir gut. Solange es weiter geht, bin ich zufrieden. Aus den Kopfhörern in meinen Ohren dröhnte ein Lied von „Raise Against“. Genau die passende Musik, um etwas schneller zu laufen und sich so richtig auszupowern. In dem einen Moment weiche ich mehreren Pfützen aus und kurze Zeit später ziehe ich an für einen kurzen Sprint. So kriege ich jedes Mal wunderbar den Kopf frei. Das ist genau der Ausgleich, den ich zu meinem Tag im Büro mit jeder Menge Besprechungen brauche.
Nach 10 km habe ich heute genug, bin wieder zurück in meiner Wohnung und springe direkt unter die Dusche. Nachdem der Regen mir beim Laufen nichts ausgemacht hat, kommt jetzt, wo ich mich nicht mehr bewege, die komplette Kälte durch. Aber das heiße Wasser aus der Dusche tut verdammt gut. Meine Muskeln machen sich bemerkbar, sie brennen leicht durch die Anstrengung. Es ist eine Art von Schmerz, aber einer, der mich beflügelt. Ich bin jetzt richtig kaputt, aber glücklich. Meine Beine fühlen sich schwer an, aber das Gefühl in meinem Herzen könnte nicht besser sein.
Dieses Gefühl, dieser Moment, verfolgt mich in meinen Träumen. Er wird nie wieder kommen. Denn heute bin ich zu krank, um nochmal joggen zu können. Heute kann ich vor Schmerzen kaum gehen und bin auf einen Rollstuhl angewiesen. Und heute beginnt ein neues Leben, das ich mir nicht ausgesucht habe.
Trauma
Für mich ist der Verlust eines Hobbys, welches man geliebt hat, wie ein Trauma. Es gibt Dinge, die man wohl nie so ganz überwinden oder verarbeiten kann. Dinge, die man verloren hat, die man sich so sehr zurück wünscht, aber die man einfach nie wieder zurück bekommen wird. Für die einen ist es eine Person, die verstorben ist, für andere ein Auto, das bei einem Unfall zerstört wurde oder für andere sind es völlig banale Dinge. Jeder geht anders mit einem Verlust um. Aber jeder Verlust hinterlässt irgendwo tief in uns eine Narbe. Es bleibt immer etwas zurück, das uns an diesen Verlust erinnert. Mal kommt es durch einen Traum an die Oberfläche, mal wird man durch irgendetwas oder irgendjemanden daran erinnert. Und dann bricht diese Narbe für einen kurzen Moment auf und fügt uns noch einmal etwas von dem Leid zu, welches wir erleben mussten.
Ein Trauma überwindet man nicht einfach mal so. Vielleicht überwindet man es auch niemals. Aber sollte man das denn überhaupt? Vergessen? Ja, es tut weh, wenn ich jemanden joggen sehe, wenn ich die alten Laufschuhe im Schrank finde und sie einfach nicht wegschmeißen kann. Manchmal denke ich an früher, wenn ich gelaufen bin. Wenn der Regen auf mich herunter prasselte. Manchmal fange ich dann an zu weinen. Aber nicht immer nur aus Trauer, sondern manchmal auch vor Freude, weil mir diese Erinnerung niemand nehmen kann. Weil ich Erfahrungen gemacht habe, welche anderen Menschen verwehrt blieben. Menschen, die nicht das Glück hatten, ihre Beine bewegen zu können. Und weil ich Erinnerungen habe, die mir diese Krankheit nicht mehr nehmen kann.
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